Jahrbuch 2004: Marathon-Studie

Widerspiegelung der Wirksamkeit von Therapieanpassungen und Belastungsverträglichkeit bei Marathonläufern mittels Glukoseprofilen aus kontinuierlicher subkutaner Glukoseaufzeichnung

von Ulrike Thurm, Ortrud Hamann, Claudia Karge, Christa Lorenz, Aneke Schüder, Andrea Paulus und Susanne von Bültzingslöwen

Es ist heute selbstverständlich, daß Menschen mit einem Diabetes regelmäßig Freizeit- und Wettkampfsport betreiben. Um die gesetzten Trainings- und Wettkampfziele zu erreichen, werden Trainingsinhalte und die methodischen Steuergrößen der Belastung (Umfang, Häufigkeit, Dauer, Bewegungsfrequenz, Intensität) genau auf das Ziel und den aktuellen Trainingszustand des Sportlers abgestimmt. Die methodische Steuerung beruht auf den Erkenntnissen der trainierenden Nichtdiabetiker. Für diabetische Sportler wird zusätzlich die Therapieanpassung über die Kohlenhydrat- und Insulindosierung notwendig. Dafür gibt es allgemeine Grundlagen, die, ähnlich wie bei der Trainingssteuerung, an die individuellen Gegebenheiten des sporttreibenden Diabetikers angepaßt werden. Bisher stehen für die Kontrolle der Therapieanpassung punktuelle Blutzuckerbestimmungen als Steuergrößen zur Verfügung. Die kontinuierliche Aufzeichnung der Glukosekonzentration vor, während und nach der Belastungszeit war lange ein Wunschtraum für die Menschen mit Diabetes. Seit Herbst 2000 gibt es die erste sporttaugliche Gerätekombination für die Langzeitaufzeichnung der Glukosekonzentration (CGMS®). Damit ist es möglich, ähnlich wie bei Einführung der kontinuierlichen Herzfrequenzmessung zur Belastungssteuerung, retrospektiv die Wirksamkeit der Therapieanpassung an die Belastung zu analysieren und Schluß-folgerungen für die weitere Trainingsgestaltung und zukünftige Wettkämpfe zu ziehen. Die gewonnenen Erfahrungen des Glukoseverhaltens können individuell mit den sportlichen Belastungsgrößen verknüpft werden, um neue Erkenntnisse für die persönliche Trainingsgestaltung und Therapieanpassung zu gewinnen.

Kontinuierliche subkutane Glukoseaufzeichnung mit dem CGMS®

Gerätesysteme zur kontinuierlichen Aufzeichnung des Glukoseprofils unter sportlicher Betätigung müssen bequem zu tragen und leicht bedienbar sein sowie unter Belastung störungsfrei arbeiten. Bei Sportarten wie Radfahren, Bergwandern, Tennis, Fußball und Marathon, sind diese Eigenschaften für das CGMS nachgewiesen. [1-4]

Das Gerätesystem CGMS (Continuous Glucose Monitoring System) besteht aus vier Komponenten: Glukosesensor, Aufzeichnungs-Monitor, Übertragungseinheit zum Computer (Com Station) und Auswertesoftware (MiniMed Solutions 3.0). Zur Aufzeichnung wird der Sensor subkutan in die seitliche Bauchwand eingeführt, mittels Pflaster fixiert und verbleibt dort 72 Stunden. Über ein ca. 60 cm langes Kabel ist der Sensor mit dem tragbaren, ca. skatblattgroßen Monitor verbunden. Der Monitor läßt sich mit Hilfe einer integrierten Klammer an der Sportkleidung befestigen.

Der Sensor erfaßt kontinuierlich elektrochemisch einen dem momentanen Gewebeglukosespiegel entsprechenden Stromwert. Der Gewebeglukosespiegel widerspiegelt ca. 10 min verzögert den aktuellen Blutzuckerwert. Alle 10 Sekunden greift der Monitor die dem Gewebeglukosespiegel entsprechenden Stromwerte vom Sensor ab. Um die Datenflut sinnvoll zu begrenzen, werden diese Werte alle 5 Minuten gemittelt, der korrespondierenden Uhrzeit zugeordnet und gespeichert. Das ergibt 288 Glukosemesswerte pro 24 Stunden bis zu einer Gesamtaufzeichnungszeit von 72 Stunden.

Nach Abschluß der Aufzeichnung werden die Daten aus dem Monitor mittels Com Station auf den Computer übertragen. Sie stehen für die Auswertung in Form von Zahlen und Abbildungen der Glukoseverläufe (Glukoseprofile) zur Verfügung.

Läufer mit Diabetes beim Berlin-Marathon

Für das Sammeln eigener Erfahrungen der kontinuierlichen Glukoseaufzeichnung mit dem CGMS unter sportlicher Belastung und zum Finden von Anknüpfungspunkten für die Schulung und Beratung der diabetischen Sportler wurden vor, während und nach dem Berlin-Marathon 2002 Glukoseprofile aufgezeichnet.
Acht teilnehmende Läufer mit Diabetes trugen am Tag vor dem Lauf, während des Marathonlaufes und am Tag danach einen CGMS-Sensor und -Monitor zur kontinuierlichen Aufzeichnung der Glukosewerte. Einen Überblick über persönliche Daten, Behandlungsstrategien und Laufergebnisse der Teilnehmer ist in Tabelle 1 gegeben.

Glukoseprofile zur Widerspiegelung der Anpassung

Einflußfaktoren auf Glukoseprofile

Glukoseverläufe im Blut unterliegen dem Einfluß einer Vielzahl von Faktoren. Insbesondere unter sportlicher Belastung kommen Einflußfaktoren wie Art, Intensität und Dauer der Belastung, Tageszeit der Aktivität und Trainingszustand zum Tragen. Häufig wird der Glukoseverlauf jedoch nur im Zusammenhang mit Ernährung und Medikamentengabe bewertet. Um gezielte Informationen aus Glukoseprofilen zu erhalten und die Reproduzierbarkeit der Erkenntnisse zu erreichen, ist unbedingt ein ausführliches Begleitprotokoll mit Uhrzeit und den zugehörigen Informationen zur Belastungsgestaltung und Therapieanpassung zu führen. Die Einflußfaktoren können so direkt zeitlich den Glukoseprofilen zugeordnet und damit ihre Wirkungen erfaßt und beurteilt werden. Durch intensives Austesten kann ein individueller Glukosebereich ermittelt werden, in dem die körperliche Leistungsfähigkeit am besten ist. Gleichartige sportliche Aktivitäten lassen sich weitgehend standardisieren und dadurch zukünftig die Begleitumstände und die Therapie entsprechend optimieren, um ein geplantes Glukoseprofil zu erhalten.

Glukoseprofile

Glukoseprofile spiegeln als Kurven die Glukosekonzentrationen in Abhängigkeit von der Zeit wider. Zur differenzierten Bewertung des Glukoseverlaufes während des Marathonlaufes bietet sich die Unterteilung der Gesamtprofile in Zeitabschnitte, wie Vorbelastungsphase, Wettkampfphase und Nachbelastungsphase an. Neben der Abbildung als Glukoseprofile liegen die Glukosewerte als Daten vor. Diese ermöglichen die Bestimmung verschiedener Parameter zur Bewertung der Therapieanpassung und Glukosestabilität. Tabelle 2 gibt einen Überblick über die verwendeten Parameter aus den gemessenen Glukosewerten und deren Bedeutung bei der Auswertung. Grundlage für die Bewertung ist ein durch den Sportler individuell festgelegter Glukosezielbereich in den Belastungsphasen. Bei Ausdauersportarten ist es empfehlenswert, die Muskelarbeit mit stärker erhöhten Glukosewerten (200-250mg/dL) zu beginnen, um die Gefahr einer Hypoglykämie zu minimieren. Gleichzeitig ist es wichtig, mit Glukosewerten unter 250 mg/dL zu laufen, um den Flüssigkeitsverlust geringzuhalten. Ein idealer Glukosezielbereich liegt dafür zwischen 120-200 mg/dL. Üblicherweise wird von vielen diabetischen Sportlern ein Bereich von 180-250 mg/dL beim Marathonlauf gewählt.

Bei optimaler Abstimmung aller Einflußfaktoren sind die Glukosekonzentrationen sehr stabil, liegen im individuellen Zielbereich und die Glukoseprofile zeigen in den einzelnen Phasen wenig Schwankungen. Das Gesamtausmaß der Glukosebelastung während einer Zeitperiode und in Bezug zu einem gewählten Grenzwert, wird durch die Fläche unter der Glukose- Zeit-Kurve (AUC) beschrieben. Eine AUC von 200 mg/dL über zwei Stunden besagt, daß der Sportler während dieser gesamten Zeit eine entsprechende Glukosebelastung tolerieren muß. Wird der Glukosezielbereich weit über- bzw. unterschritten, ist es notwendig, die Ursachen in der Therapieanpassung oder der Belastungsverträglichkeit zu ermitteln.

Besonders wichtig für die Bewertung sind die Trends der Glukoseverläufe/ Zeit. In Abbildung 1 ist zu sehen, daß der Startwert in einem guten Ausgangsbereich liegt, die Geschwindigkeit des Anstiegs bis und der Abfall der Glukosewerte nach einer halben Stunde Lauf sehr stark ist, bevor sich die Werte am Ende des Laufes stabil im Glukosezielbereich einpendeln. Gerade an diesem Beispiel wird der Unterschied zwischen punktueller Blutzuckerbestimmung und der kontinuierlichen Glukoseaufzeichnung sehr deutlich.

Vorbelastungsphase

Entscheidend für die Vorhersage der Wechselwirkung zwischen körperlicher Belastung und Therapieanpassung ist
die Abschätzung, wie der letzte Bolus und das zu Beginn der Belastung im Körper befindliche Insulin während und nach dem Wettkampf wirken. [5]

Je höher der letzte Bolus bzw. die letzte Insulindosis waren, desto stärker ist der Blutzuckerabfall während der körperlichen Aktivität. Wenn der letzte Einheiten/ BE-Faktor zu hoch war, kann beim Wettkampf eine Unterzuckerung entstehen. Ist er zu stark reduziert, steigt der Glukosewert während der Belastung an. Berücksichtigung muß auch der Zeitpunkt des letzten Bolus und der letzten Insulingabe und die Insulinart (Normal- oder Analoginsulin) finden. Der Glukoseabfall ist während des Wirkmaximums des Insulins um ein Vielfaches stärker als bei Wirkungsende. Das Wirkmaximum wiederum ist bei Analoginsulinen früher als bei Normalinsulinen und bei Basalinsulinen (vgl. Abbildung 3). [6]

In der Vorbelastungsphase werden somit die Grundlagen für den Verlauf des Glukoseprofils im Wettkampf gelegt. Tabelle 3 faßt die Ernährung und Medikamentengabe der 8 Läufer in der Vorbelastungsphase zusammen. In der Vorbesprechung am Tag vor dem Marathonlauf wurden individuelle Insulindosisreduktionen mit jedem Teilnehmer besprochen. Gleichzeitig wurden alle Läufer nochmals intensivst auf die stärkere Dehydrierungsgefahr bei sportlicher Aktivität in Kombination mit erhöhten Glukosewerten unterwiesen. Alle Läufer wurden demnach strengstens angehalten, schon weit vor Beginn des Wettkampfes eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr durchzuführen, um auf jeden Fall einem zu starken Flüssigkeitsverlust entgegenzuwirken, da der Körper besonders während des Laufes nur eine begrenzte Menge an Flüssigkeit (ca. 0,5 L/h) resorbieren kann.

In Abbildung 4 werden die Trends der Glukoseverläufe aller Teilnehmer dargestellt. Während beim Start eines Marathonlaufes normalerweise nur der aktuell gemessene Glukosewert zur Verfügung steht, zeigen die Glukoseprofile zusätzlich die Richtung und Geschwindigkeit der Glukosewertveränderungen an. Der für Marathonläufer optimale Start-Glukosezielbereich ist grün hinterlegt.

Die aus den Glukoseprofilen abgeleiteten charakteristischen Parameter sind in Tabelle 4 zusammengefaßt.

Generell sollte der Trend der Glukoseverläufe vor dem Wettkampf konstant im individuellen Zielbereich liegen bzw. eine steigende Tendenz aufweisen. Eine abfallende Glukosetendenz in der Vorbelastungsphase wird im Wettkampf zwangsläufig verstärkt. Durch diese Potenzierung der Insulinwirkung greifen alle im Training ermittelten Parameter der Kohlenhydratzufuhr pro Laufstrecke oder -zeit nicht mehr. Die Gefahr einer Hypoglykämie während der Belastung ist damit kaum noch abzuwenden.

Abbildung 5 bis Abbildung 7 zeigen ausgewählte Beispiele charakteristischer Glukoseprofile von Sportlern mit individuellen sportlichen Zielen und Glukosezielbereichen.

Läufer 1 erreicht es, mit den durchgeführten Therapieanpassungen zielsicher und kontinuierlich den Glukosewert in den angestrebten Nahe-Normbereich von 120-200 mg/dL ansteigen zu lassen. Diese steigende Glukosetendenz bietet dem Läufer 1 so eine optimale Stoffwechselausgangslage für den Wettkampf (vgl. Abbildung 5). Läufer 3 strebt aus massiver Angst vor diabetischen Folgeerkrankungen immer Glukosewerte im Bereich von Nichtdiabetikern an. Als einziger Starter mußte er deshalb auch in den letzten 12 Monaten zwei schwere Unterzuckerungen mit Bewußtlosigkeit dafür in Kauf nehmen. Das Glukoseprofil zeigt in der Vorbelastungsphase eine extrem fallende Glukosetendenz bis zum Start durch eine massive Überkorrektur des erhöhten Glukosespiegels am Morgen. Diese fallende Tendenz wird während des Wettkampfes durch die Intensivierung der Insulinwirkung und zusätzliche Verbrennung von Kohlenhydraten potenziert. Diese Stoffwechseltendenz ist damit für diesen Läufer die denkbar ungünstigste Voraussetzung, um in den Wettkampf zu starten (vgl. Abbildung 6).

Läufer 6 hat aus Angst vor Hypoglykämien bei ihrem zweiten Marathonlauf sicherheitshalber einen individuell recht hohen Glukosezielbereich (250- 400 mg/dL) gewählt. Dieser wird mit der entsprechenden Therapieanpassungen aber sehr konstant gehalten (vgl. Abbildung 7).

Wettkampfphase

Das wichtigste Ziel beim Marathonlauf ist es, die Muskulatur kontinuierlich mit Kohlenhydraten zu versorgen. Der Körper verbraucht permanent Energie, die ihm in Form der Kohlenhydrate wieder zugefügt werden muß, um das Leistungsniveau über 42,195 km aufrechtzuerhalten. Die verstärkte Muskelaktivität während des Wettkampfes ist durch die erhöhte Insulinempfindlichkeit und den erhöhten Glukoseverbrauch gekennzeichnet. Entsprechend der Glukosewerte am Start, während der Belastung und seiner angestrebten Zielzeit, entscheidet der Sportler mit Diabetes, wie viele Kohlenhydrate während des Laufes aufgenommen werden müssen, um die Konstanz des Glukoseverlaufes während der Belastung und in der Erholungsphase im individuellen Glukosezielbereich zu halten.

In Tabelle 5 sind die zugeführten Kohlenhydrate und Insuline dokumentiert. Schon weit vor dem eigentlichen Marathonlauf wurden die diabetischen Teilnehmer unserer Studie nach individuellen Vorlieben bei der Kohlenhydratzufuhr während des Wettkampfes befragt. Die überwiegende Mehrheit der Läufer entschied sich dabei für flüssige Kohlenhydrate in Form von Cola, Glukosegels oder Elektrolytgetränken. Um aber Irritationen des Magen- Darmtraktes bei ausschließlicher Zufuhr von Flüssigkeit entgegenzuwirken, wünschten sich die meisten Marathonläufer weiterhin Energieriegel und Bananen als Spezialversorgung an den extra gekennzeichneten Versorgungsstellen. Nicht nur bei diabetischen Marathonläufern ist es existentiell, daß auch die Zufuhr und Auswahl der geeigneten Kohlenhydrate auf ihre Verträglichkeit und Wirkung hin ausführlich vorher in den Trainingseinheiten getestet werden. Im Wettkampf darf gerade in diesem Bereich nichts dem Zufall überlassen werden und deshalb waren unsere Stände mit dieser Wunschverpflegung komplett ausgerüstet.

Um auch die Versorgung des diabetischen Stoffwechsels unter allen Umständen gewährleisten zu können, befanden sich selbstverständlich alle gängigen Normal- und Analoginsuline, Insulinpumpenzubehör, Acetonteststreifen, Spritzen und Blutzuckermeßgeräte an den Ständen, die mit sehr fachkundigen Diabetologen und/oder Diabetesberaterinnen DDG besetzt waren.

Bedingt durch den individuellen Glukosezielbereich und die angestrebte Zielzeit sind, wie Abbildung 8 zeigt, die Glukoseprofile sehr unterschiedlich. Bei der Betrachtung einzelner Trends ist auffallend, daß nach 1,5 bis 2 Stunden Laufzeit eine Veränderung der Trends zu beobachten ist. In Tabelle 6 sind die individuellen Glukosezielbereiche und die charakteristischen Parameter der Glukoseprofile in der Wettkampfphase zusammengefaßt.

Läufer 1 liegt durch eine perfekte Therapieanpassung während des gesamten Marathons konstant im Glukosezielbereich. Dadurch gelingt es nicht nur, die individuelle Bestzeit zu unterbieten, sondern Läufer 1 erreicht auch als Schnellster der gesamten Gruppe das Ziel (vgl. Abbildung 9).

Läufer 3 kann den gravierenden Fehler der Therapieanpassung in der Vorbelastungsphase während des Wettkampfes nicht kompensieren und läuft immer am Rande einer Hypoglykämie. Dadurch wird das individuelle Leistungspotenzial bei weitem nicht ausgeschöpft, und der Läufer überschreitet deutlich sein angestrebtes Laufziel (vgl. Abbildung 10).

Läufer 6 erreicht durch eine optimale Therapieanpassung während des gesamten Marathonlaufes konstante Glukosewerte im individuell hohen Zielbereich. Erklärtes Leistungsziel der Läuferin war es vor allem, den kompletten Marathon erfolgreich zu absolvieren, unabhängig von der Laufzeit. Die hohen Glukosewerte wirkten sich nicht so hinderlich aus, da die Laufintensität angepaßt war (vgl. Abbildung 11).

Läufer 8 hat durch inadäquate Therapieanpassung seinen individuellen Glukosezielbereich nie erreicht. Er schwankt zwischen Über- und Unterschreitung seines angestrebten Glukosezielbereiches. Hier wurde deutlich, daß dieser Läufer mit Diabetes völlig unzureichend in der Therapieanpassung geschult war. Dadurch kam es zu gravierendem Fehlverhalten beim Marathon. Die massiven Stoffwechselschwankungen wirken sich bei ihm dramatisch auf die Laufzeit aus. Er hat die längste Laufzeit der Gruppe und konnte nicht die ganze Marathonstrecke laufend absolvieren (vgl. Abbildung 12).

Schon aus diesen wenigen Beispielen wird deutlich, wie wichtig bei der Bewertung der Glukoseprofile die Zielstellungen der Sportler hinsichtlich Glukoseniveau und Laufzeit sind.

Unterschiede in der Glukosestabilität während des Wettkampfes bei Läufern mit CSII und ICT

Tendenziell zeichnet sich ab, daß bei der Insulinzufuhr mittels einer Insulinpumpe eine bessere Glukosestabilität während des Marathonlaufes erreicht wird. Die Werte für Streuung um den Mittelwert aller Glukosewerte (36 vs. 60) und Schwankungsbreite zwischen Maximalund Minimalwert (136 vs. 199) sind bei der Verwendung einer Insulinpumpe (CSII) geringer als bei intensivierter Insulintherapie (ICT). Laufzeit und Glukosemittelwert hängen vom Trainingszustand, angestrebter Zielzeit oder Glukosezielbereich ab und sind jeweils gleichverteilt (vgl. Tabelle 7). Für jeden Sportler mit Diabetes bedeutet dieses, daß bei einer Insulinzufuhr mit der Pumpe (CSII) die individuelle Glukosestabilität konstanter erreicht und gehalten werden kann als bei der Therapieform ICT und völlig unabhängig vom Leistungsniveau ist.

Flüssigkeitshaushalt beim Marathonlauf

Um den beim Marathonlauf sehr hohen Flüssigkeitsverlust auszugleichen, ist die ausreichende und regelmäßige Flüssigkeitszufuhr während des Laufes notwendig. Beim Marathonlauf gibt es vor allem zwei Gründe für den Flüssigkeitsverlust:
o Schwitzen während des Laufes
o Ausscheidung als vermehrte Urinmenge bei Glukosewerten oberhalb der Nierenschwelle

Besonders Läufer mit Startglukosewerten >180mg/dL sind durch starke Austrocknung gefährdet. Allgemein ist der Flüssigkeitsverlust durch den Schweiß bei höherer Laufgeschwindigkeit (Intensität) größer als bei niedriger. Das größere Ausmaß der Glukosebelastung des Körpers während des Laufes oberhalb der Nierenschwelle, gemessen als höherer Wert der Fläche unter der Glukosekurve (AUC), ist ebenfalls ein Warnzeichen für vermehrten Flüssigkeitsverlust. Einen Hinweis auf die Höhe des Flüssigkeitsverlustes bei den diabetischen Marathonläufern gibt der Gewichtsverlust als Gewichtsdifferenz vor und nach dem Lauf, bezogen auf das absolute Körpergewicht. Die Ergebnisse zeigen, daß ein sehr hoher Gewichtsverlust und damit eine starke Dehydrierung durch eine extrem hohe Laufgeschwindigkeit (Läufer 1) bei Nahe-Normoglykämie oder eine sehr hohe Wettkampf-AUC bei geringer Geschwindigkeit (Läufer 6) ausgelöst wird.

Nachbelastungsphase

Ist der Marathon beendet, können sich die Nachwirkungen in bezug auf den Glukosestoffwechsel noch über einige Tage bemerkbar machen. Frühe Untersuchungen bei nichtdiabetischen Freizeitsportlern zeigen, daß die durch schnittliche Konzentration des muskulären Glykogengehaltes (Glukosespeicherform) noch 24 Stunden nach der jeweiligen Belastung geringer ist, als der Ausgangswert (vgl. Tabelle 8). [7] Bei diabetischen Sportlern ist die Insulinempfindlichkeit für die Dauer dieser Auffüllarbeit erhöht. Eine Insulindosisreduktion zwischen 30-50 % kann angemessen sein. Gleichzeitig ist auf eine ausreichende Kohlenhydratzufuhr zu achten, damit die Glukosespeicher der Muskulatur sich wieder auffüllen können.

Glukoseprofile 2 Stunden nach Belastungsende

Die Glukoseprofile der Marathonläufer bis zu 2 Stunden nach dem individuellen Zieleinlauf zeigen gegenüber den Vorbelastungsprofilen größere Konstanz. Bei 5 Läufern liegen die Werte zwischen 50 und 139 mg/dL, während 3 Läufer durchschnittlich um 300 mg/dL liegen.

Muskelauffülleffekt in der langen Nachbelastungsphase

Die extreme Ausdauerbelastung eines Marathonlaufes leert die Glykogenspeicher der Muskulatur weit über die unmittelbare Nachbelastungszeit. Nach Beendigung des Laufes benötigt der Körper noch länger als 24 Stunden große Mengen Glukose zur Auffüllung der muskulären Glykogenreserven. Für die Beobachtung des Muskelauffülleffektes ist neben der unmittelbaren Nachbelastungsphase vor allem die langfristige Bestimmung der Glukosekonzentration interessant.

Mittels der Aufzeichnung bis zu 72 Stunden ist es möglich, die Glukoseverläufe sowohl vor dem Wettkampftag, als auch am Tag danach zu untersuchen. Eine Möglichkeit, den Muskelauffülleffekt zu beobachten, ist der Vergleich der Glukosekonzentrationen zu gleichen Tageszeiten vor und nach dem Lauf.

In Abbildung 14 ist die höhere Glukosekonzentration aller Läufer vor dem Wettkampftag gegenüber dem Tag nach dem Wettkampf zu sehen. Wird zwischen den Vor- und Nachbelastungsprofilen die Differenz der Glukosewerte gebildet, ergibt sich ein Differenzprofil, das die Glukosedefizite des Nachbelastungstages kennzeichnet. Unter Berücksichtigung der Einflußgrößen Insulin- und Kohlenhydratzufuhr ist es somit möglich, die Stärke des Muskelauffülleffektes zu ermitteln durch den Vergleich der Glukoseprofile zu ermitteln. In Abbildung 15 ist für die Zeit von 21 bis 7 Uhr die Glukosedifferenz dargestellt.

Trotz Dosisreduktion des Verzögerungsinsulins oder der Basalrate um durchschnittlich 50 % nach Beendigung des Marathonlaufes lagen die Glukosewertebis nach Mitternacht um 60-80 mg/dL unter den Glukosewerten der Vornacht. Zu berücksichtigen ist selbstverständlich, daß sich durch eine 50%ige Reduktion des Verzögerungsinsulins zur Nacht auch dessen Wirkzeit deutlich verkürzt. Damit ist eine scheinbare Aufhebung der Differenz in den frühen Morgenstunden zu erklären. Die Aufzeichnung der Glukoseprofile bietet die methodische Möglichkeit den Muskelauffülleffekt in Zukunft noch näher zu untersuchen.

Schlußfolgerungen

Das Aufzeichnen von Glukoseprofilen während sportlicher Belastung, wie hier im Ausdauerbereich beim Marathonlauf, gestattet einen neuartigen Einblick in die Zusammenhänge von glukoseverbrauchender Muskelarbeit und der dazugehörigen Therapieanpassung. Bisher waren nur Rückschlüsse aus Blutzuckermomentaufnahmen möglich. Als Feedback zeigen die Glukoseprofile der einzelnen Belastungsphasen den Grad der Therapieoptimierung unter Belastung im Verhältnis zur Zeit. Die Parameter der Glukoseprofile bieten neue Möglichkeiten in bezug auf die Bewertung der andauernden Einhaltung des Glukosezielbereiches, der Glukosestabilität und der Geschwindigkeit der Veränderungen der Glukosekonzentrationen in Trendbeschreibungen. Es gibt erste Hinweise über das Zusammenspiel unterschiedlicher Stoffwechselmechanismen, wie hier dem Flüssigkeitsdefizit mit der AUC. Glukosedifferenzprofile werden zur Darstellung des Muskelauffülleffektes empfohlen.

Das Tragen des Sensors und des Monitors des CGMS stellte für die Läufer praktisch keine Behinderung während des Laufes und in der Vor- und Nachbelastung dar. Der Nutzen, den die Sportler aus Glukoseverläufen ziehen können, liegt deutlich höher als die Beeinträchtigung durch das Tragen des CGMS.

Die hier vorgestellten Ergebnisse sind erste Anzeichen auf mögliche neue Erkenntnisse, die aus der Aufzeichnung von Glukoseprofilen mittels CGMS bei sportlicher Belastung gezogen werden können. Weitere Untersuchungen werden diese Tendenzen erhärten.

1. Largay J, McMurray R, Sabbah H T, Bode B W, Buse J B. A pilot study to determine the optimal insulin adjustment and carbohydrate supplementation to perform intense endurance exercise in four cyclists with type 1 diabetes. Diabetes 2001, 50, Suppl.2: 2030

2. Kaufmann F R. Role of the continuous glucose monitoring system in pediatric patients. Diabetes Technology and Therapeutics 2000, 2, Suppl.1: 49-52

3. Zimmer P, Bilinski M. Kontinuierliches Glukose- Monitoring als diagnostisches Instrument bei Arzt- Patienten-Seminaren über Diabetes und Sport. Diabetes und Stoffwechsel 2002, 11, Suppl.1: 120

4. Carr J M, Corcoran M H. Continuous glucose monitoring in marathon runners with type 1 diabetes during the 2001 Chicago marathon. Diabetes 2002, 51, Suppl.2: 988

5. Thurm U, Gehr B. Diabetes-und Sportfibel; Verlag Kirchheim 2001

6. Tuominen JA: Exercise-induced hypoglycaemia in IDDM patients treated with a short-acting insulin analogue, Diabetologia, 38:106-11 (1995)

7. Scheibe, Israel, Buhl, Köhler Der Einfluss extremer Ausdauerläufe auf einzelne Organsysteme und Schlußfolgerungen für die sportmedizinische Tauglichkeitsuntersuchung; Medizin und Sport.137-140 1979

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